Die Polizei in Weiterbildung bei Swiss Cycling
Velofahren ist gesund, umweltfreundlich und effizient. Es überrascht daher nicht, treten hierzulande so viele Menschen wie nie zuvor in die Pedale. Immer mehr Leute tun dies mit einem E-Bike, darunter reichlich neue Velofahrende und Zurückkehrende – also Personen, welche vor dem Kauf ihres Stromvelos nie, kaum oder während geraumer Zeit nicht mehr im Sattel gesessen sind. Derweil wurde der Ausbau der spezifischen Infrastruktur in Form des Veloweggesetzes eben erst beschlossen – die Umsetzung wird noch Jahre bis Jahrzehnte dauern. Was zur Folge hat, dass sich immer mehr Velofahrende auf dem gleichen Raum bewegen. Darunter befinden sich zahlreiche Leute, die sich das Velofahren nicht oder nicht mehr gewohnt sind. Viele von denen sind auf einem motorisierten Gefährt unterwegs, welches ohne grössere Anstrengungen verhältnismässig hohe Tempi zulässt. Die logische Folge dieser Konstellation: Steigende Unfallzahlen. Womit die Polizei ins Spiel kommt.
Peter Miescher ist Leiter Verkehrsprävention bei der Kantonspolizei Bern und in dieser Funktion unter anderem für den Verkehrsunterricht in den Schulen verantwortlich. Die Entwicklung der vergangenen Jahre verändere die Herausforderungen, mit denen sich seine Instruktoren im Alltag konfrontiert sähen, sagt der 46-jährige Berner Oberländer. „Früher standen die Signale und die Verkehrsregeln im Zentrum unserer Tätigkeiten, heute spielt auch der Fahrtechnikunterricht eine wichtige Rolle. Wir erleben immer mehr Kinder, die ihr Velo nicht beherrschen.“ Miescher spricht von örtlichen Unterschieden, betont, die mangelnden koordinativen Qualitäten auf dem Velo akzentuierten sich vornehmlich in urbanen Zonen. In ländlichen Regionen hingegen seien die Kinder diesbezüglich gut bis sehr gut unterwegs. „Wir haben den Eindruck, dass es eine grosse Rolle spielt, ob die Kinder mit dem Velo zur Schule fahren oder nicht.“
Die schere geht immer weiter auseinander
Die Erkenntnis, wonach die velofahrerischen Fähigkeiten in der Bevölkerung tendenziell abnehmen, lässt sich auf die Erwachsenen übertragen. Die Polizei bietet auch in diesem Segment Kurse an, arbeitet diesbezüglich mit Pro Senectute zusammen. Das Angebot richtet sich vornehmlich an Nutzerinnen und Nutzern von E-Bikes, aber auch an Fahrende von herkömmlichen Velos. Gleichzeitig gebe es Kinder aus klassischen Bike-Familien, welche sich auf sehr hohem Niveau bewegen würden. „Die Spannweite wird immer grösser, die Arbeit für unsere Instruktoren immer herausfordernder“, lässt Miescher verlauten. Was die Kantonspolizei Bern bewog, die Ausbildung zu optimieren und sich für eine Kooperation an Swiss Cycling Guide zu wenden. „Für uns war umgehend klar, dass wir uns in technischer, methodischer und didaktischer Hinsicht an jenen Inhalten orientieren müssen, die im professionellen Bereich vermittelt werden.“
Lukas Keller ist seit über 15 Jahren in der Swiss Cycling Guide-Ausbildung tätig, 2019 erwarb er als erster Ausbildner den kurz zuvor eingeführten eidgenössischen Fachausweis für Mountainbikelehrer. Er war Teil jenes Teams, welches in Kooperation mit der Kantonspolizei Bern den Pilotkurs konzipierte und im Mai 2021 dann auch durchführte. Im Vorfeld seien gleich mehrere Herausforderungen zu meistern gewesen, habe das Programm doch sowohl auf die Bedürfnisse der erwähnten Instruktoren als auch auf jene der Bike Police-Spezialisten ausgerichtet werden müssen, hält der 43-Jährige fest. Bei Letzteren handelt es sich um Mitarbeitende der Regionalpolizeien, welche das Velo als Einsatz- und Transportmittel im Patrouillendienst nutzen. Füllt der herkömmliche Ausbildungsweg zum Basic-Level von Swiss Cycling Guide zwölf Tage, umfasst der Polizeikurs drei Tage. Deren zwei drehen sich um das Erlernen und Vermitteln von Fahrtechniken. Am dritten Tag stehen E-Bike-spezifische Elemente im Zentrum – primär das schwerere Velo, die höhere Geschwindigkeit und die längeren Bremswege. Der Fahrtechnikkurs von Swiss Cycling Guide ist als Ergänzung zur bestehenden polizeiinternen Veloausbildung zu verstehen.
vertiefte auseinandersetzung mit bekannten themen
Zwei Kurse haben bis anhin stattgefunden, das Resümee der Beteiligten fällt ausgesprochen positiv aus. Als „durchs Band weg genial“ bezeichnet Peter Miescher das Erlebnis. Der Leiter der Verkehrsprävention unterrichtet selbst noch in kleinem Rahmen, weil er „am Ball bleiben, den Puls spüren“ will. Im Pilotkurs seien alle Teilnehmenden gefordert gewesen, stellt er klar. „Es war ebenso anspruchsvoll wie bereichernd. Die Mischung zwischen dem Erlernen von Kompetenzen und dem Erlernen, die Kompetenzen zu vermitteln, hat sehr gut gepasst.“ Teilweise sei es um Details gegangen, deren Relevanz gerne unterschätzt werde. So hätten die Ausbildner immer wieder betont, wie wichtig es in bestimmten Situationen sei, die Finger an der Bremse zu haben. „Grundsätzlich war das uns allen bewusst. Im Praxistest hat sich dann aber herausgestellt, dass der Griff zur Bremse keineswegs automatisch erfolgt“, lässt Miescher verlauten.
Ausbildner Lukas Keller lobt die Teilnehmenden, sagt, sie seien „sehr motiviert und wissbegierig“ gewesen. „Die Rückmeldungen waren in positiver Weise kritisch, es wurden viele gute Fragen gestellt.“ Er glaube, das Format des spezifischen Kurses ermögliche eine äusserst effiziente Weiterbildung. „Die Polizistinnen und Polizisten sind generell sehr gut ausgebildet. Bei uns haben sie sich vertieft mit bekannten Themen auseinandergesetzt. Wir haben ihnen gewissermassen die Aussensicht auf ihre Tätigkeiten aufgezeigt, ihnen die präzise Herangehensweise an das Vermitteln einer Technik nähergebracht.“ Es sei sehr dankbar gewesen, diese Kurse zu leiten, konstatiert Keller. „Das waren tolle Gruppen, die sehr gut mitgearbeitet und innert kurzer Zeit erhebliche Fortschritte gemacht haben.“
Der dritte Polizeikurs von Swiss Cycling Guide ist bereits aufgegleist; er findet im Mai statt. Seitens der Kantonspolizei Bern ist man bestrebt, das Projekt fortzusetzen; zur Debatte steht eine Ausweitung von der kantonalen auf die nationale Ebene. Was ganz im Sinn von Swiss Cycling Guide wäre, wie der Ausbildungsverantwortliche Flurin Dörig bestätigt. „Die Kooperation mit der Polizei ist für uns von hoher Bedeutung. Das positive Echo ist der Beweis, dass unsere Ausbildung geschätzt wird. Angesichts der immer wichtiger werdenden Rolle des Velos in der Gesellschaft ist gut vorstellbar, dass wir diese Dienstleistung auch anderen Behörden und Institutionen anbieten werden.“ Ein Ende des Velo-Booms ist nicht in Sicht, die Bedeutung der Prävention dürfte noch steigen. An Interessenten wird es daher kaum mangeln.